Diese Sprechstörung ist gekennzeichnet durch eine Störung des Sprechablaufs und kann in Form von Stottern oder Poltern in Erscheinung treten.
Stottern – Balbuties
Stottern äußert sich in unfreiwilligen Wiederholungen von Wörtern, Silben oder Lauten, in Dehnungen von Lauten und / oder in Blockierungen von Wörtern. Häufigkeit und Schweregrad des Stotterns sind meist situationsabhängig und können phasenweise großen Schwankungen unterliegen. Als Begleiterscheinungen können das Einschieben von Wörtern, Satzabbrüche und -umstellungen, Sprechangst, Vermeideverhalten und Körpermitbewegungen und -anspannung auftreten. Diese Begleiterscheinungen resultieren aus dem Versuch, die eigentlichen Stottersymptome zu überwinden. Stotternde leiden häufig unter einem großen Störungsbewusstsein.
Bei Stottern handelt es sich um eine Störung, die erstmals überwiegend in den ersten Lebensjahren auftritt. 5 % aller Kinder beginnen während der Sprachentwicklung, meist zwischen dem 3. und 6. Lebensjahr zu stottern. Stottern ist jedoch kein normales Phänomen der Sprechentwicklung, sondern beruht auf Veranlagung und genetischer Disposition. Eine spezielle Ursache für Stottern konnte bislang nicht identifiziert werden. Man geht von einer Vielzahl unterschiedlicher, sich wechselseitig beeinflussender Faktoren aus, die das Auftreten sowie die Aufrechterhaltung und Chronifizierung des Stotterns begünstigen. Dazu zählen unter anderem wie bereits oben erwähnt genetische und disponierende Faktoren, eine gestörte Hemisphärendominanz bzw. Lateralisation, aber auch eine Störung zentraler auditiver Rückmeldemechanismen beim Spracherwerb sowie ein gestörter Spracherwerb selbst.
Darüber hinaus können umweltbedingte Belastungen (z.B. unregelmäßiger Tagesablauf, ständige Änderungen der familiären Konstellation, eine das Kind überfordernde Erwartungshaltung, Geschwisterrivalitäten) und / oder kommunikative Stressoren (z.B. ungünstiges Zuhörverhalten, Hektik und Zeitdruck, ungünstiges elterliches Sprechverhalten, unablässiges Fragen oder Belehren des Kindes sowie eine „konkurrenzhafte“ Sprechumgebung) zur Entwicklung und Aufrechterhaltung des Stotterns beitragen. Auch ungünstige Strategien im Umgang mit dem Stottern durch den Betroffenen selbst können das Stottern negativ beeinflussen und festigen. Ein einzelner auslösender Faktor wie beispielsweise ein Schock oder Trauma, wie von Eltern häufig beschrieben, reicht in der Regel nicht aus, um ein chronisches Stottern zu verursachen.
Unabhängig vom Schweregrad der Symptome überwinden 50 – 80 % aller stotternden Kinder ihre Sprechunflüssigkeiten wieder vollständig ohne jede Hilfe von außen. Dies geschieht meist innerhalb der ersten beiden Jahre nach dem erstmaligen Auftreten des Stotterns. Unter den Kindern mit Spontanheilung finden sich deutlich mehr Mädchen, weshalb im Jugend- und Erwachsenenalter der Anteil männliche Stotternde im Verhältnis von etwa 4:1 überwiegen. Je länger das Stottern anhält, desto unwahrscheinlicher ist ein spontanes Verschwinden; nach der Pubertät ist eine Spontanheilung so gut wie ausgeschlossen.
Ernst zu nehmende Warnzeichen für ein sich chronifizierendes Stottern sind über einen längeren Zeitraum hinweg anhaltende sehr häufige Wiederholungen, sicht- und hörbare Anspannung beim Sprechen sowie ein zunehmendes Störungsbewusstsein und negative psychische Reaktionen des Kindes bei genetischer Disposition in der Familie, also einem stotternden Verwandten des Kindes. Wenn diese Anzeichen und Risikofaktoren auf Ihr Kind zutreffen, aber auch wenn sie im Umgang mit dem Stottern und Ihrem stotternden Kind verunsichert sind, sollten Sie eine Diagnostik, Beratung und ggf. Therapie in Anspruch nehmen.
Unser Behandlungskonzept für Stottern entspricht weitestgehend dem direkten symptomorientierten Therapiekonzept Mini-KIDS („Kinder dürfen stottern“) für 2 bis 6-jährige bzw. Schul-KIDS für Kinder und Jugendliche nach Patrizia Sandrieser & Schneider. Bei Jugendlichen fließen zudem Elemente aus der traditionellen Stottertherapie nach Charles van Riper („Nicht-Vermeidungs-Ansatz“) sowie aus dem Therapiekonzept von Holger Prüss in die Behandlung mit ein. Jede Behandlung beinhaltet verschiedene Therapiebereiche. Neben einer ausführlichen Elternberatung und -anleitung im Umgang mit dem stotternden Kind selbst sowie mit den verursachenden und aufrechterhaltenden Faktoren, erfolgt unter gezielter Anleitung des Therapeuten eine schrittweise direkte Auseinandersetzung des betroffenen Kindes mit seiner Sprechstörung. Das Kind lernt, seine individuellen Symptome beim Stottern zu erkennen (Identifikation), seine Angst davor abzubauen und seine Sprechweise anzunehmen (Desensibilisierung) und mithilfe einer Sprechtechnik gezielt und bewusst zu flüssigerem Sprechen hin zu verändern (Modifikation) und diese veränderte Sprechweise mehr und mehr in den Alltag zu integrieren. Besonderes Augenmerk legen wir hierbei auf die „Enttabuisierung“ des Stotterns, da eine positive gelassene Einstellung des Kindes selbst und seiner Umgebung, also v.a. seiner Familie, gegenüber den Sprechunflüssigkeiten entscheidend zum Behandlungserfolg beiträgt. Die Befürchtung, dass eine direkte symptomorientierte Arbeit am Stottern des Störungsbewusstsein verstärke, hat sich unseren Erfahrungen nach bei sachgerechtem Vorgehen in der Praxis als unbegründet erwiesen.
Poltern
Die Symptome des Polterns entstehen weniger beim Sprechvorgang selbst als vielmehr in dessen gedanklicher Vorbereitung. Aufgrund einer mangelhaften Integration aller Sprachelemente kommt es hierbei zu einer sehr schnellen, überhasteten Sprechweise mit Beschleunigungen des Sprechtempos innerhalb längerer Wörter oder Redewendungen. Die Aussprache klingt aufgrund diverser wechselhafter Artikulationsfehler häufig sehr undeutlich und verwaschen. Teilweise werden ganze Wörter, unbetonte Silben, Wortendungen oder Lautverbindungen ausgelassen, umgestellt oder miteinander verschmolzen. Die Sprechflüssigkeit ist durch Wiederholungen von Wörtern und Phrasen sowie durch Satzabbrüche und -umstellungen und das Einschieben von Füllwörtern herabgesetzt. Den Äußerungen fehlt teilweise der logische Zusammenhang, so dass der Zuhörer den Erzählungen nur mit Mühe folgen kann. Sehr selten besteht ein Störungsbewusstsein oder gar ein Leidensdruck bei Menschen, die poltern. Meist leidet eher die Umwelt unter der mangelhaften Verständlichkeit der Äußerungen. Im Gegensatz zum Stottern verbessert sich das Poltern durch Konzentration auf das Sprechen.
Die Ursachen des Polterns sind bislang noch nicht sicher geklärt. Man nimmt an, dass es auf Veranlagung beruht und minimale hirnorganische Störungen zugrunde liegen, durch die ein Missverhältnis zwischen der motorischen Sprechfertigkeit, dem Sprechtempo und Defiziten in der Wahrnehmung der eigenen Artikulation hervorgerufen werden. Im Kindes- und Jugendalter wird Poltern in unserer Praxis nach dem Therapiekonzept von Claudia Ivens behandelt, bei dem durch gezielte Wahrnehmungsübungen bzgl. des herkömmlichen Sprechmusters und mithilfe eines bewussten kontrollierten Sprechens die Symptome verringert werden können.